Wie begegne ich einem fremden Hund?
Viele Menschen glauben leider, Hunde hätten gefälligst - wie Pferde oder Katzen - still und geduldig abzuwarten, bis die Herrenrasse Mensch mit ihnen fertig ist. Sie verschwenden keinen Gedanken daran, wie das Tier sich wohl fühlen mag; und was es im Angesicht des auf sie zustürmenden Menschen am liebsten tun würde. Viele Hunde sind denn auch tatsächlich bereit, das Leid über sich ergehen zu lassen. Manche jedoch ... und dann ist das Geschrei groß. "Diese Bestie! Wie unerzogen! Beißt mir einfach in die Hand! Dabei wollte ich den Hund doch nur streicheln und liebkosen!"
Schauen wir uns also einmal an, wie die hunde-gerechte Art ist, einen fremden Hund zu begrüßen und mit ihm umzugehen. Unter "fremd" verstehen wir übrigens alle Hunde, die nicht zum eigenen Haushalt gehören und jeden Tag um uns herum sind. Also auch der Hund der Eltern oder Kinder; der Hund der Nachbarn und natürlich der Hund des Bekannten, den wir fast jeden Tag im Park treffen.
Dabei gibt es 6 verschiedene Situationen:
- Ich begegne ohne eigenen Hund einem fremden Hund
- Ich begegne mit eigenem Hund einem fremden Hund
- Ein fremder Hund begegnet uns. Beide Hunde sind angeleint.
- Ein fremder Hund begegnet uns. Nur mein Hund ist angeleint.
- Ein fremder Hund begegnet uns. Nur der fremde Hund ist angeleint.
- Ein fremder Hund begegnet uns. Keiner der beiden Hund ist angeleint.
Da wir in allen Fällen selbst involviert sind, beginnen wir im Folgenden auch mit der Beschreibung unseres eigenen Verhaltens gegenüber dem fremden Hund. Wie wir darauf reagieren, was unser Hund macht bzw. wie wir UNSEREM Hund diese Begegnung so einfach wie möglich machen, beschreiben wir dann im zweiten Teil.
Schritt 1: Wir fragen den Leinen-Halter des fremden Hundes
Es kann Einhundertachtundneunzigmilliarden-siebenhundertzweiunddreißigmillionen-vierhundereinundsechzigtausend-dreihundertneunundneunzig Gründe (und beim Durchzählen habe ich bestimmt noch ein paar vergessen oder übersehen) geben, warum es gerade ganz, ganz ungünstig ist, sich dem fremden Hund zu nähern. Nur ein gute Hand voll davon kann man auf die Entfernung erkennen. ALSO FRAGEN WIR!
Schritt 2: Wir nähern uns bis auf etwa 2 Meter an und bleiben stehen
Wir rennen jetzt NICHT direkt auf den fremden Hund los und kreischen verzückt "Oh, wie siehst du süß aus! Oh, komm zu Mami! Ich will dich streicheln!"; sondern nähern uns ruhig und aufrecht dem fremden Hund bis auf etwa 2 Meter Entfernung an. Das ist eine Distanz, die die meisten Hunde, die halbwegs sozialisiert wurden, noch gut verkraften. Erkennst du jedoch Anzeichen von Angst beim fremden Hund, entferne dich sofort wieder rückwärts und langsam.
Einem Leinen-Halter mit Hund nähern wir uns dabei stets so an, dass der Hund mindestens schräg, besser genau hinter dem Leinen-Halter ist. So hat er Schutz und fühlt sich nicht ganz so von uns überfallen. Außerdem kann der Leinen-Halter im Falle des Falles, dass uns der fremde Hund wider Erwarten doch nicht ausstehen kann, leichter eingreifen und etwa Angst-Aggression reduzieren bzw. vermeiden. Und ja: Das meint auch, dass wir gegebenenfalls einen Bogen und nicht in gerader Linie auf den fremden Hund zulaufen.
In dieser Entfernung bleiben wir stehen und warten darauf, dass der fremde Hund ZU UNS kommt. Wir setzen unser Sonntags-Gesicht auf, grinsen freundlich, aber nicht übertrieben. Wir stehen locker und entspannt, aber aufrecht da. Wir halten die offene Hand mit geschlossenen Fingern und der Handfläche zum fremden Hund gerichtet leicht vor uns. Und wir warten.
Ist der fremde Hund angeleint oder nicht?
Wenn der fremde Hund angeleint ist, dann achten wir darauf, dass wir mindestens einen Meter dichter herantreten, als die Leine lang ist. Stellen wir das erst später fest, korrigieren wir das, sobald wir es feststellen. Das ist wichtig, denn es reduziert den Stress des Hundes und hilft uns, Missverständnisse bei der Kommunikation zu vermeiden.
NIEMALS ganz am Ende der langen Leine stehenbleiben! Wenn der Hund sich gegen die Leine strecken muss, um dich zu begrüßen, kann es zu kommunikativen Missverständnissen kommen. Tritt daher mindestens 1 Meter dichter, als die Leine lang ist! Solltest du davor Angst haben; dann bleibe gleich ganz vom fremden Hund weg!
Schritt 3: Der fremde Hund kommt und sagt "Hallo!"
Wir lassen den fremden Hund zu uns kommen und "Hallo! Wer bist du denn? Wo kommst du her? Was hast du erlebt?" sagen. Er wird anfangs ziemlich angespannt sein; lockert sich aber sehr schnell. Dabei schnüffelt er an dir herum, um die Fragen, die er hat, selbst zu beantworten. Das lassen wir geduldig zu, während wir warten, bis er mit seiner Begrüßung fertig ist.
Im Regelfall dauert sein "Hallo!" nur wenige Sekunden. Vielleicht so 10-30 Sekunden; selten viel länger. Aber wir warten das Ende ab, denn er zeigt uns an, wenn er fertig ist. Und das macht er auf eine von zwei möglichen Verhaltensweisen:
- Er bleibt neben oder vor uns stehenIn diesem Fall gibt er uns die Erlaubnis, ebenfalls "Hallo!" sagen zu dürfen. Jetzt - und ERST JETZT - dürfen wir ihn ebenfalls anfassen.
- Er geht wieder zu Herrchen/Frauchen zurückIn diesem Fall sind wir für ihn uninteressant. Er möchte nichts weiter mit uns zu tun haben. Das kann viele Ursachen haben; darunter auch schlicht und einfach Angst. Wir lassen ihn in Ruhe und beachten ihn nicht weiter. Wenn wir näher an den Leinen-Halter herangehen, dann achten wir darauf, dass der fremde Hund stets mindestens seitlich hinter oder ganz hinter dem Halter ist. Bewegt er sich allein auf uns zu, ist das okay, doch wir nähern uns ihm nicht mehr proaktiv.
Schritt 4: Wir bleiben ruhig und entspannt
Auch wenn der fremde Hund noch so niiiiiiiiieeeeeeeedlich ist: Wir bleiben ruhig und entspannt. Bei kleineren Hunden hocken wir uns SEITLICH NEBEN ihn, den Körper leicht eingedreht. Dann beginnen wir mit der Berührung des fremden Hundes.
Die erste Berührung erfolgt seitlich oben an den Schulterblättern oder zwischen den Schulterblättern. Dort lassen wir die Hand kurz (3-5 Sekunden) ruhen und warten auf die Reaktion des Hundes. Er wird uns mit einer der folgenden Reaktionen sagen, wie es weitergehen soll und kann:
- Er drückt sich sanft an uns heranDas ist die beste Reaktion, die wir von ihm bekommen können: Er zeigt uns Vertrauen. Wir dürfen ihn weiter anfassen.
- Er verharrt stocksteifAuch das ist Okay. Wir dürfen ihn weiter anfassen. Doch er ist noch unsicher, wie er uns einordnen soll. Also bleiben wir auch betont sanft und ruhig. Wir quatschen möglichst wenig; und wir "knuddeln" auch nicht an ihm herum.
- Er weicht ganz leicht aus (Oft eine fast unscheinbare Bewegung! Deshalb darauf achten!)Dieser Hund ist sehr unsicher, wie er mit uns umgehen soll. Wir sollten den direkten Kontakt ruhig und behutsam abbrechen. Falls wir mit dem Halter interagieren, haben wir später noch Zeit, einen neuen Anlauf zu machen. Vielleicht hat der Hund bis dahin seine Unsicherheit abgelegt. Wenn nicht; dann eben nicht. Man muss ja nicht jeden Hund angrabbeln, nicht wahr?!
- Er weicht deutlich ausDieser Hund möchte wirklich keinen Kontakt mit uns. Aus irgendeinem Grund sieht er sich jedoch gezwungen, es zumindest aus Höflichkeit zu versuchen. Wir brechen den Kontakt zügig ab, bleiben dabei aber ruhig und entspannt.
- SONDER-REAKTION: Er bleibt nicht still stehenDieser Hund hat entweder Schmerzen oder eine schlechte Erziehung. Es ist normal, dass Hunde sich bewegen. Doch bei der Begrüßung (und da sind wir immer noch) gehört es zum instinktiven Kodex, still stehen zu bleiben. Zwar dürfte die Begegnung meist unproblematisch sein; doch wäre ich dabei vorsichtiger und zurückhaltender. Das gilt umso mehr, je weiter der Hund sich bei meiner Begrüßung von mir entfernt.
- SONDER-REAKTION: Er springt wie ein Gummiball um uns herumDieser Hund hat schlicht eine schlechte Erziehung. Er ist unberechenbar, doch werden die Begegnungen meist gut ausgehen; da er bevorzugt die direkte Flucht antritt, bevor es zur Eskalation kommt.
Wie sieht ein entspannter Hund aus?
Ein Hund, der unsere Begegnung entspannt akzeptiert und sich womöglich sogar auch darüber freut, zeigt uns das mit den folgenden Signalen:
- Entspannte, weiche Körperhaltung
- Leicht offenes und entspannt wirkendes Maul; die Zunge "hechelt" leicht
- Die Ohren spielen oder sind in entspannter Haltung (je nach Rasse und aktueller Laune des Hundes)
- Latentes Desinteresse an uns (= große Höflichkeit!)
- Lockere, entspannt wirkende Bewegungen
- Dicht bei uns still stehen (= Höflichkeit)
- Sanftes Anlehnen im Stehen an uns (= Vertrauen)
- Dicht bei uns allein absetzen (= Vertrauen)
- Angelehnt an uns allein absetzen (= großes Vertrauen)
- Auf den Rücken drehen (= Angst, Unsicherheit, Unterwürfigkeit oder großes Vertrauen)
- Kein Ausweichen vor unseren Berührungen (= Akzeptanz bis Wohlwollen)
- Kein plötzliches Erstarren (= Akzeptanz bis Wohlwollen)
Denke immer daran: Hunde brauchen das "Streicheln" nicht. Das ist eine Sache, die Menschen gern machen. Für Hunde gibt es ganz andere Arten, einander die Zuneigung zu beweisen. Alles, was du jetzt an "Streichel-Arbeit" leistest, machst du also eigentlich nur für dich. Der Hund wird es, wenn er höflich ist, akzeptieren. Doch er kann sehr gut darauf verzichten. Das gilt schon für deinen eigenen Hund. Für einen fremden gilt es umso mehr.
Noch ein Wort um "auf den Rücken drehen": Die allermeisten fremden Hunde drehen sich nicht auf den Rücken, weil sie so wahnsinnig gern von fremden Leuten an ihrer empfindlichsten Stelle, namentlich am Bauch bzw. an der Kehle, gestreichelt werden wollen. Sie drehen sich auf den Rücken, weil sie Angst haben oder unsicher sind; und dich deeskalieren wollen, dich also bitten wollen, ihnen nicht zu schaden. Denke stets daran, wenn sich ein fremder Hund vor dir auf den Rücken wirft! Und respektiere, dass er mindestens unsicher ist; wahrscheinlich aber sogar Angst vor dir hat (oder ihm einfach die soziale Erziehung fehlt). Erst ganz am Schluss findest du dann die Gruppe Hunde, die es tatsächlich toll findet. (Um es deutlich zu machen: Es soll ja die eine Frau geben, der es gefällt, wenn ihr ein Mann im Vorbeigehen auf den Hinern klopft. Deshalb ist es aber immer noch nicht sinnvoll, nun allen Frauen auf den Hintern zu klopfen, nicht wahr?!)
Der Hund entfernt sich?
Entfernt sich der Hund aus unserem "Schwenkbereich" der Arme, sagt er uns damit, dass er den direkten Kontakt für beendet erklärt. Falls er weiteren Kontakt will, wird er wieder zu uns kommen.
In diesem Fall lenken wir unsere Aufmerksamkeit höflicherweise ebenfalls vom fremden Hund weg. Wir beachten ihn einfach gar nicht mehr. Alternativ können wir jetzt natürlich in ein Spiel mit dem Hund einsteigen. Sprich das aber ebenfalls mit dem Halter ab.
No-go's bei der Begegnung (Was wir nicht tun sollten!)
Im Abschnitt No-Go's bei Hunde-Begegnungen haben wir es noch einmal für alle möglichen Fälle zusammengestellt. Daher hier nur eine kurze Auflistung dessen, was wir auf gar keinen Fall machen, wenn wir fremden Hunden begegnen:
- Nicht direkt auf ihn zulaufen!
- Nicht unfreundlich schauen!
- Nicht in die Augen starren!
- Keine hektischen Bewegungen machen!
- Nicht kreischen!
- Möglichst wenig, besser gar nicht, reden!
- In den ersten Sekunden (bis zum Abschluss seines "Hallo!") nicht proaktiv zu dicht an ihn herangehen! Stattdessen bestimmt allein er die Distanz zwischen euch.
- Niemals die Warn-Signale des Hundes übersehen! (Versteifen, Grollen, Knurren, Lippen hochziehen; aber auch Wegducken, Schwanz einziehen, Kopf nach unten beugen, Kopf seitlich wegdrehen, Rücken krümmen, Lippen/Nase lecken, etc.)
- Niemals den Hund "überraschen"! (unbemerkt anschleichen, etc.)
- Niemals zuerst am Kopf berühren!
- Niemals Kopf-an-Kopf berühren! ("Küsschen geben")
- Niemals über den Hund beugen!
- Niemals den Hund "umarmen"!
Wenn der Hund auch nur den Hauch von Angst-Signalen zeigt: Finger weg von diesem Hund!
Gerade die letzten Punkte können unsichere oder ängstliche Hunde zu Angst-Aggression verleiten. Und dann schnappen sie in das erste, was sie treffen können. Wenn das dein Kopf sein sollte, kann es passieren, dass du direkt nach dieser Begegnung einen plastischen Chirurgen treffen möchtest. Also LASSE ES LIEBER!
Kommunikation mit Hunden
Die Sprache der Hunde
In diesem Kapitel
- Erziehung
- Alltag mit dem Hund
- Der tägliche Spaziergang
- Unser täglich Futter gib uns heute
- Wie viel Futter braucht mein Hund?
- Wie begegne ich einem fremden Hund?
- Wie begegne ich einem fremden Hund an der Leine?
- Zusammenfassung: Hundebegegnungen
- Die Pflege des Hundes
- Wann sollte ich mit meinem Hund zum Tierarzt gehen?
- Verhalten im Hundepark