Stress --- Die körpersprachlichen Signale
Die Stress-Signale - oder auch "3F" bzw. "5F" genannt - sind die Reaktion des Hundes auf den Stress. Hier schauen wir uns nun die körpersprachlichen Stress-Signale etwas genauer an. Je besser wir sie erkennen, desto eher können wir unserem Hund Führung durch eine für ihn stressige Situation anbieten, desto bessere Rudelführer werden wir.
Warnung! Nicht immer. Nicht alles. Nicht in der exakten Reihenfolge.
Wie immer in der Kommunikation, so gilt auch hier: Diese Stress-Signale sind ein HINWEIS auf das Stress-Befinden des Hundes. Du solltest dich NIEMALS darauf verlassen, dass "... jetzt noch 3 Signale, dann muss ich aufhören zu stänkern!" gilt. Je nach Situation, je nach aktueller Tagesform des Hundes, je nach Umständen kann der Hund einzelne oder sogar ganze Gruppen von Signalen entweder beschleunigt, gleichzeitig oder sogar gar nicht zeigen und einfach überspringen. Außerdem kann ein Hund - der ja schließlich auch nur ein Mensch ist - sich trotz deines "Aufhörens" auch ganz allein weiter in die Sache hineinsteigern, also von 180 auf 250 gehen, wenn du so willst. Und natürlich können deine Deeskalations-Signale, wenn sie falsch oder unpassend kommen, den Hund noch mehr aufregen. Genauso, wie du das kannst, wenn du dich gerade tierisch aufregst und dein Gegenüber sagt "Nun rege dich doch nicht so auf! Entspanne dich mal wieder!"
Spätestens, wenn du also die ernsthafteren Stress-Signale am Hund bemerkst, solltest du tunlichst etwas zur Deeskalation unternehmen. Und die sicherste Deeskalation bei fremden Hunden ist, sich aus dem Sichtbereich zu entfernen.
Die Kurzform (leichter zu merken)
Bevor wir in die Vollen gehen, gibt's hier die Kurzform der Stress-Eskalations-Signale in aufsteigender Reihenfolge:
- Gähnen, Blinzeln, Nase lecken
- Kopf wegdrehen, Blickkontakt aktiv meiden
- Körper aktiv wegdrehen, selbständiges Absetzen und "Pfote geben"
- Weggehen
- Ohren anlegen, Körperschwerpunkt wandert leicht nach unten
- Schwanz einziehen, Körperschwerpunkt wandert deutlich nach unten
- Selbständiges Ablegen, gelegentlich auch "den Bauch zeigen", also auf den Rücken oder die Seite drehen
- Versteifen, Fixieren/Anstarren
- Knurren
- Schnappen
- Beißen
Mit dieser Stress-Eskalation zeigt der Hund an, dass er eine Stress-Situation als unangenehm (und immer unangenehmer) empfindet. Dabei muss der Stress nicht zunehmen (etwa, indem sich ein potenzieller Gegner weiter nähert); sondern einfach nur "nicht signifikant nachlassen" (etwa, indem sich der potenzielle Gegner deutlich entfernt).
1-4 sind typische Ausweich-Signale. Schon wenn du sie wahrnimmst, solltest du als guter Rudelführer schleunigst eingreifen und die Situation ent-stressen, indem du sie auflöst oder durch Entfernen aus der Situation minimierst.
5-7 sind typische Angst- und Unterwerfungs-Signale. Spätestens jetzt solltest du deinen Hund souverän, ruhig und selbstbewusst aus der Situation herausführen.
8-11 sind typische Aggressions-Signale. Wenn du nicht schleunigst etwas unternimmst, kann es blutig werden.
Signal 1: Unruhe
Das erste und niedrigste körpersprachliche Stress-Signal ist die sprichwörtliche Unruhe. Der Hund wird verschiedene Signale in unbestimmter Reihenfolge zeigen.
- Sich wiederholt kratzen
- Unruhig in der Luft oder am Boden schnüffeln
- Unruhig hin und her laufen, stehenbleiben, wieder laufen, wieder stehenbleiben, ...
- Sehr personenbezogene Hunde suchen oft die Nähe ihres Halters und verhalten sich dort unruhig
Signal 2: Unsicherheit
Das zweite körpersprachliche Stress-Signal ist Unsicherheit. Der Hund wird verschiedene Signale in unbestimmter Reihenfolge zeigen. Oft zusammen und vermischt mit den Signalen der Unruhe.
- Häufiges Blinzeln
- Häufiges oder vermehrtes Gähnen, obwohl er gar nicht müde sein kann
- Sich wiederholt die Nase und die Lippen lecken
- Personenbezogene Hunde suchen oft die Nähe ihres Halters und verhalten sich dort unruhig und verunsichert
- Ängstliche und sensible Hunde verstecken sich hinter ihrem Halters und verhalten sich dort unruhig und verunsichert
- Gelegentliches leises Winseln ist möglich
Signal 3: Beschwichtigung
Das dritte körpersprachliche Stress-Signal ist das Beschwichtigungs-Signal. Der Hund wird verschiedene Signale in unbestimmter Reihenfolge zeigen. Oft zusammen und vermischt mit den Signalen der Unruhe und der Unsicherheit.
- Kopf wegdrehen
- Blickkontakt strikt vermeiden
- Ausgeprägtes und häufiges Gähnen
- Körper seitlich eindrehen
- Körper von dir wegneigen
- Körper abducken
- Körperschwerpunkt nach unten und hinten verlagern
- Ängstliche und sensible Hunde zeigen gelegentlich auch den Bauch, legen sich also auf Seite oder Rücken
- Weggehen; also den Ort der Situation verlassen
Das ist bereits ein deutliches Stress-Signal, das du unbedingt beachten und deeskalierend einwirken solltest. Gerade ängstliche und sensible Hunde würden an dieser Stelle gern komplett aus der Situation kommen --- und zwar PRONTO! Sehr unbeholfene und/oder nicht hinreichend sozialisierte super-sensible Hunde können hier bereits ohnmächtig umfallen.
Signal 4: Stress-Signale
Wenn die Situation sich immer noch nicht auflöst, zeigt der Hund sehr deutliche Stress-Signale. Wie immer: Nicht unbedingt alle; und oft vermischt mit anderen Signalen; jedoch nehmen die Beschwichtigungssignale bereits deutlich sichtbar ab.
- Pupillen-Erweiterung
- Zittern
- "Wal-Augen" (Man sieht das Weiße seiner Augen UNTERHALB der Iris.)
- Verstärktes Hecheln
- Unsicherer bzw. unruhiger Stand
- Selbständiges "Pfote-Geben"
- Das leise Winseln taucht gelegentlich wieder auf
- Kurzes, jaulend klingendes Bellen ("Verzweiflungs-Bellen") ist möglich
Das ist ein unzweifelhaftes Stress-Signal, das du unbedingt beachten und deeskalierend einwirken solltest. Wenn du jetzt nicht bald die Führung in der Situation übernimmst, wird dein Hund es tun --- und zwar nach den Regeln der Stress-Auflösung (3F bzw. 5F - Freeze-Flight-Fight).
Signal 5: Fokus-Signale
In dieser Phase trifft der Hund nach den 3F/5F eine Entscheidung Fight? - Kampf?, Flight? - Flucht? oder Fool around? - "Durchdrehen"?. Die Uhr an der Zeitbombe tickt bereits kurz vor 12.
- Keine Unruhe-Signale mehr
- (Fast) keine Unsicherheits-Signale mehr; und stark abnehmend
- (Fast) keine Beschwichtigungs-Signale mehr; und stark abnehmend
- Keine Geräusche mehr (kein Winseln, kein Wimmern, kein Bellen)
- Maul geschlossen
- Kopf auf das Ziel ausgerichtet
- Der Blick beginnt starr zu fixieren, kann anfangs aber noch abgelenkt werden
- Ohren nach vorn
- Körperspannung nimmt deutlich sichtbar zu
Der Hund geht jetzt final in die Entscheidung über. Für einen sicheren Eingriff ist es bereits zu spät, denn jede Aktion des Leinen-Halters kann jetzt der Trigger für die Entscheidung des Hundes sein. Dies gilt insbesondere für jede Aktion des Halters, die auf das Ziel zugerichtet (Fight-Kampf) oder klar davon weggerichtet (Flight-Flucht) ist. Je nach Sozialisation, Respekt und Charakter des Hundes; aber auch entsprechend der eigenen Einschätzung der jeweiligen Chancen, wird der Hund mitziehen oder sich gegen den Wunsch des Halters stemmen.
Signal 6: Imponier-Signale
Diese Signale sind nur noch optional. Sehr selbstsichere, sehr zuversichtliche oder sehr überhebliche Hunde werden nun noch das Imponieren zeigen.
- Aggressive Körperhaltung
- Ohren anfangs vorn, später (und beim Bellen) angelegt
- Lautes Grollen (Knurren), das lauter und leiser klingen kann, mit der Zeit aber immer deutlicher und lauter wird
- Der Kopf streckt sich allmählich nach vorn, bis er mit dem Rücken auf einer Höhe ist; wird aber immer mal wieder kurz aufgerichtet
- Deutliches Krausziehen der Nase (Lippen hochziehen)
- Deutliches Zeigen der Zähne
- Aggressiver werdendes kurzes und abgehacktes Bellen
- Anfangs noch "stolzieren", also steifbeiniges Laufen möglich
- Körperausrichtung anfangs oft quer, später jedoch direkt auf das Ziel
- Starke Körperspannung, ganz besonders in der späteren Phase
- Schwanz waagerecht oder leicht erhoben, aber kein "Wedeln" mehr
Bei schlecht sozialisierten Hunden ist die Chance des erfolgreichen Eingriffs durch den Halter jetzt schon echt kritisch und sinkt mit jeder Sekunde. Der Hund hat stark fokussiert und ist da nur noch schwer wieder herauszuholen. Zudem wird er jetzt JEDES Signal seines Leinenhalters, das nicht unzweifelhaft ist, als Unterstützung auslegen. Das gilt insbesondere für sehr selbstbewusste und sehr unsichere Hunde.
Signal 7: Passive-Aggressions-Signale
Auch diese Signale sind nur noch optional. Sieht der Hund eine Chance, den Stressfaktor erfolgreich ohne Kampf vertreiben zu können, wird er nun die passive Aggression zeigen. Die unterscheidet sich von der aktiven Aggression vor allem dadurch, dass es noch nicht zu schweren Bisswunden kommt. Kurzes (auch häufigeres) Zuschnappen ist jedoch dennoch möglich!
- Unzweifelhaft aggressive Körperhaltung
- Feste Fixierung des Gegners
- Ohren fest angelegt, gelegentlich auch konzentriert nach vorn gestellt
- Wütendes, abgehacktes und intensives Bellen, später auch von "spuckendem Bellen" begleitet
- Kurzes und heftiges Vorpreschen, begleitet von heftig-aggressivem "Droh-Knurr-Bell-Schnappen" (alles auf einmal, das dann fast wie heftiges und wütendes Röcheln klingt) und anschließend ein paar Schritten des Rückzugs
- Äußerst steife Bewegungen, als ob der Hund vier Holzbeine hätte
- Extreme, sprungbereit wirkende Körperspannung
- Dauerhaft deutlich sichtbare Zähne (werden die Lippen immer mal wieder entspannt, ist das ein Beschwichtigungssignal)
- Droh-Schnappen (in die Luft schnappen)
- Kurzes, durchaus häufigeres Zuschnappen, das jedoch keinen oder nur geringfügigen Schaden anrichten soll
Um einen passiv aggressiven Hund wieder zu kontrollieren, braucht man gutes Timing und viel Geschick; oder eine kräftige Hand, mit der man den Hund aus der Situation herauszieht. Doch Vorsicht! Je nachdem, wie aufgeputscht der Hund bereits ist, kann es auch zur passiven Aggression gegen den eigenen Halter kommen. Nicht absichtlich, sondern als Frust-Reaktion bzw. als abgelenkte Reaktion.
Signal 8: Aktive-Aggressions-Signale
Auch diese Signale sind nur noch optional. Das ist das Ende der Leiter: Von jetzt an wird zurück-gebissen!
- Naja ... Hinrennen, anspringen und BEISSEN eben. Viel, oft, schnell, ...
- ... und immer heftiger, je länger der Kampf dauert
Einen aktiv aggressiven Hund zu bändigen verlangt auch bei kleineren Rassen viel Kraft und Umsicht. Der Hund wird nun ALLES, was sein Halter macht, als Unterstützung für seinen Kampf auslegen. Außerdem kann es zum sogenannten "Frust-Beißen" oder zum "abgelenkten Beißen" kommen. In beiden Fällen schnappt der extrem aufgeputschte Hund einfach in alles, was er zwischen die Zähne bekommt; auch in Hände oder Beine seines eigenen Halters.