Warum überhaupt Strafen? Geht's nicht ohne?
Nicht nur, weil die anti-autoritäre Erziehung es infrage stellt, sondern auch, weil der gesunde Menschenverstand es gebietet, wollen wir uns hier mit der Grundsatzfrage schlechthin beschäftigen:
Warum überhaupt Strafen?
Geht's nicht ohne?
Was sind Strafen überhaupt?
Nach unserem menschlichen Verständnis sollte jede böse/schlechte/falsche Tat gesühnt, also bestraft werden. Wir nehmen also RACHE für eine schlechte Tat. Das ist erst mal nichts Verwerfliches, denn so schaffen wir soziale Ordnung. Wir versuchen abzuschrecken, also durch (angedrohte) Strafe idealerweise alles, mindestens aber ähnliches nachfolgendes Fehlverhalten zu verhindern.
Strafen sind das menschliche Konzept der Rache: "Tust du dies mit mir, dann tue ich das mit dir!"
Jeder, der will, kann nun nachlesen, welche Strafe ihm für welches (potenzielle) Vergehen gegen die gesellschaftliche Ordnung blüht ... und ob er sie sich leisten will und/oder kann.
Wie sehen Hunde Strafen?
Nun können Hunde weder lesen, noch verstehen sie menschliche Konzepte, noch - und das ist am Wichtigsten! - haben sie eine Vorstellung vom Begriff der Vergangenheit. Für sie ist alles, was vorhin geschah, genauso, als wäre es nie geschehen. Sie vergessen es.
Daraus folgt zwingend, dass sie auch ein grundlegend anderes Verständnis von "Strafen" haben. Denn wenn sie sich an Vorhin gar nicht erinnern können, wie sollen sie dann Rache verstehen können?
Warum vergessen Hunde die Vergangenheit?
Sie vergessen die Vergangenheit, weil sie in ihrer natürlichen Umgebung schlicht keine Rolle spielt. Eine verkackte Jagd? Ein Streit um eine Ressource? Eine missglückte Revierverteidigung? All das spielt für Hunde keine Rolle. Sie lernen zwar auch aus ihren Fehlern, doch dazu gründen sie keine Think-Tanks oder philosophischen Gesellschaften. Stattdessen blicken sie nach vorn und gehen mit einem instinktiven "Aber diesmal klappt's!" an einen neuen Versuch.
Unseren Hunden ist instinktiv "Aber diesmal klappt's!" in die Gene gelegt.
Erst der Mut, sich unbeschwert an den nächsten Versuch wagen zu können, ohne dabei von Zweifeln eventuellen erneuten Scheiterns behindert zu werden, gibt ihnen da draußen, in der freien Natur, eine gute Chance auf das Gelingen des nächsten Versuchs. Würden sie anfangen zu zweifeln, würden sie irgendwann einfach liegen bleiben und sich dem Verhungern hingeben.
"Aber mein Hund weiß ganz genau, wenn er etwas falsch gemacht hat!"
"Aber mein Hund weiß ganz genau, wenn er etwas falsch gemacht hat. Der schaut dann immer so betroffen und versucht, sich zu entschuldigen." Kommt dir das bekannt vor? Hast du das auch schon mal von Leuten gehört, die einen Hund haben? Das sind typische Beispiele von Leuten, die ihren Hund durch und durch vermenschlichen, anstatt zu akzeptieren, dass dein Hund ein Hund ist, ein Hund bleibt und ein Hund bleiben will.
NATÜRLICH kann dein Hund das. Doch er macht es nicht aus Schuldbewusstsein, sondern er reflektiert auf DEIN VERHALTEN! Du schaust ihn böse oder vorwurfsvoll an; und schon reagiert dein Hund scheinbar betroffen. Und er kann das, weil er ganz instinktiv deine Stimme und deine Körpersprache liest, interpretiert und versteht. Das funktioniert übrigens immer, sobald dein Hund wenigstens ein kleines bisschen Respekt für dich übrig hat. Selbst dann, wenn er bis eben noch tief geschlafen und garantiert nicht gesündigt hat.
Also kennen Hunde keine Strafen?
Jede soziale Ordnung braucht Regeln und Grenzen. Und es braucht logischerweise auch die Überwachung der Einhaltung. Folglich gilt: Natürlich brauchen auch Hunde - sie leben schließlich in sozialen Gesellschaften, den Rudeln - auch Disziplinierung innerhalb des Rudels. Auch bei ihnen kommt es vor, dass ein Rudelmitglied maßlos übertreibt oder anderweitig aus der Rolle fällt. Dann strafen auch Hunde sich gegenseitig untereinander.
Hunde strafen sich untereinander NUR WÄHREND DER TAT.
Wir nennen das korrigieren.
Doch da Hunde keine Vergangenheit kennen, warten sie nicht auf die nächste Gelegenheit für einen Strafprozess und sammeln bis dahin Beweise und Indizien, sondern sie STRAFEN NOCH WÄHREND DER TAT. Wir sagen dazu "Sie KORRIGIEREN das falsche Verhalten des anderen Hundes." Und Korrigieren meint hier genau das, was der Duden dazu auch sagt:
"Fehler berichtigen und beseitigen"
Macht also ein Hund nach der Meinung eines anderen Hundes einen Fehler, dann korrigiert der Betroffene den Fehler beim Verursacher. Nicht irgendwann später; sondern GENAU JETZT. Zum Zeitpunkt der Tat. Und er korrigiert auch nicht "nach Strafkatalog", sondern er beginnt jedes einzelne Mal mit einer Bitte, dann einer freundlichen Aufforderung, einer strengeren Aufforderung und schließlich einem Kommando, wenn der Täter partout nicht einsehen will, dass er etwas falsch macht. Am schönsten und leichtesten kannst du das auf einer belebten Hundewiese erkennen, miterleben und daraus lernen.
Der große Unterschied Das "Straf-Konzept" von Mensch und Hund unterscheidet sich gravierend!
Menschen legen also Strafen auf Prävention & Abschreckung aus. Sie schaffen Nachschlagewerke von "Rache-Kosten", in denen jeder potenzielle Täter schon vorher nachlesen kann, welche Strafe ihn erwarten wird.
Menschen strafen NACH der Tat. Hunde strafen WÄHREND der Tat.
Hunde benutzen Strafen als sogenannte Korrekturen des falschen Verhaltens. Und das funktioniert NUR WÄHREND DER TAT. Denn Hunde vergessen die Vergangenheit. Sie denken keine Sekunde ihres Lebens darüber nach, was eben, vorhin oder gar gestern geschehen ist.
Respektiere deinen Hund! Dein Hund versteht dein Strafgesetz nicht; aber seines!
All das oben Gesagte führt uns zu diesem Punkt: "Dein Hund versteht dein Strafgesetz nicht!" Und er wird es auch nie verstehen, denn ihm fehlen nicht nur die intellektuellen Voraussetzungen dafür; ihm fehlt auch das rationale Verständnis des Begriffs "Vergangenheit".
Auch Hunde brauchen Strafen. Doch als Korrekturen des AKTUELLEN Verhaltens; nicht als Rache für bereits abgeschlossene Taten.
Und das wiederum bedeutet: Wenn dir dein Hund als Lebewesen etwas bedeutet, dann respektiere, dass er nie aus diesem Rahmen herauskommen kann! Du hingegen kannst es berücksichtigen und deinem Hund dieses notwendige Stück im gegenseitigen Verständnis entgegen kommen.
Strafen - also besser: Korrekturen des falschen Verhaltens - sind für Hunde absolut erforderlich. Nur so können sie die Grenzen ihrer Möglichkeiten herausfinden. Aber sie verstehen eben nur die Korrektur WÄHREND der Tat. Eine "Hinterher-Strafe" ist für sie nur respektlose Tyrannei.
"Das tut mir mehr weh, als dir, mein Hund!"
Tatsächlich sind Strafen NACH der Tat für Hunde nicht nur respektlose Tyrannei. Setzt du die Strafe zu lange nach der Tat an - und hier geht es oft schon um SEKUNDEN -, wird dein Hund, der es instinktiv nicht anders verarbeiten kann, deine Strafe sogar auf die aktuelle Tat beziehen. Und das kann deiner Erziehung sehr schnell sehr brutal schaden, wie folgendes Beispiel zeigt:
Angenommen, du rufst deinen Hund. Doch der kommt mal wieder einfach nicht. Du rufst und rufst und rufst ... und mit jedem Ruf wirst du erst ungeduldiger, dann verärgerter und schließlich richtig wütend auf deinen Hund: "Na, der soll mir mal kommen! Den mache ich rund, wie einen Buslenker!"
Nach deinem menschlichen Verständnis ist das nur fair. Dein Hund macht sich strafbar; und du willst Rache für den Ungehorsam.
Nun kommt dein Hund irgendwann doch. Freudig läuft er auf dich zu - nach seinem Verständnis, weil du ihn gerufen hast. Sicher, er hat es ein paar Mal überhört; aber das ist doch Vergangenheit. Und du hast es nicht korrigiert. Also war es aus seiner Sicht kein besonders korrigierenswertes Fehlverhalten. Doch kaum ist er bei dir, wird er von dir auf Briefmarken-Größe zusammengefaltet. Was, glaubst du, erkennt dein Hund, der mit "Gerade eben hast du ..." genau GAR NICHTS anfangen kann?
Genau: Er bezieht die Strafe auf die AKTUELLE TAT. Und die ist ... Richtig! ... Er ist zu dir gekommen, weil du ihn gerufen hast. Also merkt er sich: "Okay, ich werde bestraft, wenn ich beim Abruf zu Herrchen/Frauchen komme." Göaubst du, dass das eine besonders gute Motivation ist, beim nächsten Mal zu dir zu kommen, wenn du ihn rufst?
Am Ende dieser Strafaktion hast du also zwar deine Wut abgekühlt; aber dein Hund hat einen gewaltigen Rückschlag in seinem Respekt für dich erlebt. Und er wird beim nächsten Mal noch länger fortbleiben wollen, denn du bestrafst ihn ja sowieso, wenn er zu dir kommt. Also braucht er sich damit auch nicht zu beeilen. Falsche Strafen tun also dir sehr viel mehr weh, als deinem Hund...
Du siehst: Die Sache mit dem Rache nehmen geht bei der Erziehung unserer Hunde schneller nach hinten los, als dass sie uns überhaupt nutzt. Deshalb bist du gut beraten, wenn du dir gerade in Bezug auf Strafen den folgenden Merksatz fest einprägst
FAUSTREGEL Schaffst du es nicht WÄHREND der Tat, dann verzichte ganz auf jegliche Strafe. Das ist deiner Erziehung langfristig nützlicher.
Verzichtest du auf eine Korrektur falschen Verhaltens, wirst du schon bald erneut Gelegenheit zur Korrektur bekommen. Strafst du jedoch nach dem Verständnis des Hundes eine ANDERE Tat, wirst du nur neue Probleme bei der Erziehung bekommen, die du bisher noch gar nicht hattest. Du schaffst dir also NEUE BAUSTELLEN.
Verzichtest du jedoch ganz auf solche Korrekturen, erziehst deinen Hund also faktisch anti-autoritär, bekommst du haufenweise Probleme. Wie immer und überall im Leben, so gilt auch hier: "Die Dosis macht das Gift!" Extremismus, ganz egal, in welche Richtung, hat noch nie wirklich langfristigen Nutzen gebracht.
In diesem Kapitel
- Erziehung
- Gewaltfreie Erziehung? Geht das?
- Lob & Strafe
- Warum überhaupt Strafe?
- Typisches Fehlverhalten unserer Hunde
- Richtiges Lob & richtige Strafe
- Falsches Lob
- Falsche Strafe
- Verwechsle nicht Dominanz mit Aggression!
- Deine Stimme
- Deine Körpersprache
- Die wichtigsten Fehler bei der Hunde-Erziehung
- Brauche ich einen Hunde-Trainer?