Warum besteigt mein Hund alles und jeden?

Die meisten haben es schon gesehen. Manche haben es selbst erlebt. Wer selbst einen Hund hat, der kennt es. Und viele finden es ungeheuerlich, abstoßend, widerlich:

Unser Hund macht Sex mit unserem Bein!

Oder?! Macht er doch? ... Andere sagen dann, weise den Kopf schüttelnd und mit eindringlich warnendem Blick, weil deine ganze Reputation im Arsch ist, und du dringendst etwas dagegen unternehmen musst:

"Nein, das ist kein Sex!
Das ist Dominanz!
Dein Hund dominiert dich gerade!"

Ja, was denn nun? Ist es vielleicht dominanter Sex, den unser Hund da gerade macht? Das wäre ja noch erklärbar, wenn er unser Bein, einen fremden Hund oder einen fremden Menschen "besteigt". Doch wen dominiert er und mit wem hat er Sex, wenn er sein Spielzeug, einen Laternenpfahl, eine Parkbank, ein Sofakissen, oder einen Autoreifen "besteigt"?

Was ist es denn nun?

Tatsächlich ist es BEIDES. ... und noch einiges mehr. Unsere Hunde "besteigen" jemanden oder etwas, ...

  1. ... aus sexuellen Gründen
    Masturbation ist dabei der Hauptgrund. Aber natürlich nutzen sie auch die Gelegenheit zum richtigen Sex mit Hundedamen, wenn sie sie bekommen. Übrigens: Gesunde un fortpflanzungsfähige Hunde masturbieren ziemlich häufig. Nicht immer "besteigen" sie dabei etwas. Oft "blasen"/lecken sie sich einfach nur ausgiebig. Warum? Weil er ankommt und es daher kann.
  2. ... aus dem Spieltrieb heraus
    Die Simulation von sexuellen Verhaltensweisen ist Bestandteil des ganz normalen und gesunden Spiels eines fortpflanzungsfähigen Hundes.
  3. ... als Reaktion auf negativen Stress (Irritation, Ärger, Frust, etc.)
    Auch dein Hund muss seinen Stress irgendwie loswerden. Je größer der Stress und je spontaner er auftritt, desto heftiger wallen die Emotionen in deinem Hund. Und um das irgendwie rauslassen zu können, ventiliert er sich in einer sogenannten Übersprung-Handlung. Das heißt: Er kann gerade nicht klar denken und ist daher zu keiner sinnvollen Handlung fähig. Deshalb reagiert er seine Gefühle irgendwie ab. Und das kann eben das besagte "Besteigen" sein.
  4. ... als Reaktion auf positiven Stress (übermäßige Freude, etc.)
    "Ich freu mich so, ich könnte mir direkt einen runterholen!" machen Hunde wirklich. Allerdings weniger absichtlich, als vielmehr instinktiv. Es ist, wie auch beim negativen Stress eine Übersprunghandlung, also eine Handlung, die sie sozusagen aus Versehen machen, weil sie einfach nicht wissen, wohin mit ihrem Gefühlschaos.
  5. ... als soziales Verhalten (Dominanz, etc.)
    Ja, das "Besteigen" ist auch Ausdruck von Dominanz-Ansprüchen. Ganz besonders, wenn sich zwei fremde Hunde begegnen und glauben, dass sie es nun eine Weile miteinander aushalten müssen, versuchen sie, zumindest eine grundlegende Rangordnung zwischeneinander klarzustellen. Dabei kann - nicht muss, aber kann - es zum "Besteigen" als Dominanz-Anspruch kommen.
  6. ... als zwanghafte Störung
    Ja, das ist krankhaft und sollte dringend behandelt werden. Der Hund weiß in bestimmten Situationen keinen Weg, der ihn aus der Misere führen könnte. Dann nutzt er instinktiv die Übersprung-Handlung. Doch geschieht das häufiger, wird es zu einer Art Sucht. Er nutzt es also nicht mehr instinktiv, sondern glaubt, dieses "Besteigen" sei Teil des Lösungsweges. Das setzt sich auf dauer wirklich krankhaft fest, der Hund leidet also massiv. Denn eigentlich will er ja gar nicht irgendwas "besteigen". Aber er weiß nicht, was er sonst tun kann, um den massiven Stress, unter dem er leidet, loswerden zu können.

Du siehst: Es gibt einen ganzen Haufen möglicher Gründe, warum der Hund da gerade an deinem Unterschenkel herumrutscht. Und nicht jeder dieser Gründe ist für den Hund besonders spaßig. Im Gegenteil: Gar nicht so selten ist er ziemlich verzweifelt, aber er kann sich eben nicht gegen seine Instinkte wehren.

Medizinische Probleme absolut sicher ausgeschlossen?

Solltest du deinen Hund auffällig häufig beim Masturbieren erwischen, besucht gemeinsam einen Tierarzt eures Vertrauens!

Mache dir bitte Notizen, wann, wie oft, wie lange und womit dein Hund dann so herum-masturbiert. Halte auch - und das ist nicht nur für den Tierarzt, sondern auch für dich wichtig - die möglichen Trigger/Auslöser fest! WARUM macht er das gerade? Ist es Stress? Ist es Spiel? Ist es überschäumende Freude? Oder gibt es scheinbar gar keinen Grund? (Es gibt immer einen, aber ab und zu entdeckt man ihn ja nicht oder kann ihn nicht schlussfolgern.)

Ein gesunder Rüde masturbiert höchstens 2-3 Mal am Tag. Wenn es häufiger vorkommt, prüfe ob Stress eine Ursache sein kann.

"Besteigt" dein Hund immer wieder öfter als 2-3 Mal am Tag irgendwas, dann suche einen Tierarzt auf und/oder konsultiere einen Profi, der sich das mal anschaut! Oft stecken da massive Erziehungsprobleme im Hintergrund.

Lösungsansätze

Wenn es sich noch in überschaubarem Rahmen hält, aber deiner Meinung nach schon "nicht mehr gesund sein kann", dann widme dich diesem Problem frühzeitig und konsequent. Das gilt insbesondere, wenn dein Hund immer wieder fremde Menschen "besteigt". Die meisten Menschen empfinden es als sehr unangenehm. Und darauf sollten wir, als Hundehalter, Rücksicht nehmen.

  • Prävention/Vorbeugung
    Mit ein bisschen Erfahrung in der Kommunikation in der Sprache deines Hundes wirst du oft schon relativ frühzeitig Anzeichen feststellen, dass dein Hund gerade gestresst ist. Dann warte nicht, bis er jemanden oder etwas besteigt: Zeige ihm eine Alternative! Biete ihm ein aktives Spiel an. Hier gilt der Grundsatz: Lieber 10 Mal zu früh, als einmal zu spät! Wenn du also glaubst, es könnte sein, dass er gleich etwas oder jemanden besteigt: Dein Auftritt, Herr/Frau Rudelführer/in!

    Falls du schon weißt, dass dein Hund anscheinend gern und schnell irgendwas oder irgendwen "besteigt" (oft ist das bei Begegnungen mit anderen Menschen der Fall, weil der Hund dann auf diese Weise seinen Stress abzubauen versucht), dann lege ihn beispielsweise hinter dir mit dem "Platz!"-Kommando ab, oder biete ihm ein aktives Spiel an, BEVOR er überhaupt daran denkt, sich auf diese Weise abzureagieren.

  • Ablenkung
    Biete deinem Hund eine Ablenkung an. Kommandiere ihn - wenn möglich - nicht weg, sondern locke ihn mit einem Spiel. Geht es nicht ohne Kommando, ist das nicht schlimm; dann eben mit Kommando. Gerade sehr aktive Spiele, wie "Fang-den-Ball", "Fang-mich-doch" oder auch Raufspiele helfen dem Hund möglichen Stress auf spielerische Art abzubauen.
  • Wegziehen (vom fremden Menschen)
    Wenn es schnell gehen muss, dann ziehe deinen Hund vom fremden Menschen weg. Sehr wahrscheinlich hast du ein "Nein!"- oder "Aus!"-Kommando für solche Gelegenheiten. Nutze es! Und ziehe den Hund dabei gleich ruhig, aber beständig vom fremden Menschen weg.
  • Wegziehen (vom fremden Hund)
    Vorsicht! Beißgefahr! Wenn du deinen Hund von einem fremden Hund herunterziehen willst, beachte, dass viele Hunde das Besteigen nicht mögen. Sie eskalieren dann oft sehr schnell und nutzen ihre Zähne zur Abwehr des aufdringlichen Hundes. Halte also deine Hände und Beine auf Abstand! Der fremde Hund wird dich nur dann absichtlich beißen, wenn er dich als zusätzliche Bedrohung wahrnimmt. Ansonsten bist du höchstens ein Kollateral-Schaden. Aber selbst das muss ja nicht sein, nicht wahr?! Oft ist es dann besser, zu warten, bis der fremde Hund deinen Hund "abschüttelt", und dann zu versuchen, die Lage unter Kontrolle zu bringen. Der fremde Hund wird dabei möglicherweise - je nach Aufdringlichkeit deines Hundes - ein, zwei, drei Mal zuschnappen. Doch das ist nur sogenanntes "Droh-Schnappen", richtet also keinen ernsthaften Schaden an; sondern soll deinen Hund nur beeindrucken und eindringlich warnen.

Bei alledem gilt: Es gibt KEINEN ANLASS FÜR ÄRGER! Im Gegenteil: Dein Hund ist bereits massiv gestresst. Er sucht einen Ausweg und braucht nicht noch mehr Stress. Deshalb bewahre in solchen Situationen ganz besonders die Ruhe und setze dich konsequent, aber ruhig, durch.

Beachte auch, dass Wegziehen allein keine Lösung ist: Dein Hund ist gestresst. Er braucht ein Ventil. Biete ihm ein kurzes, sehr aktives Spiel zur Ablenkung an. (Ball holen, Zerrspiel, Raufen, etc.) Es reicht oft wirklich, nur 30, 40, 50, 60 Sekunden mit dem Hund zu interagieren, um ihn komplett aus diesem Stress herauszuholen.